Castorpolizisten im Clinch

November 2005. Es war ein Castor-Transport, wie viele davor. Aber das war noch nicht dagewesen: bei einer Straßenblockade gerieten Polizisten einer berüchtigten Berliner Einsatzhundertschaft mit niedersächsischen Konfliktpräventionsbeamten aneinander, die das Vorgehen der Kollegen unverhältnismäßig fanden. Die Episode endete mit gegenseitigen Festnahmeversuchen.

Polizisten prügeln Polizisten, Artikel in der Berliner Zeitung vom 23.11.2005

polizeimotorrad3Und wieder geht es um Fahnen. Geistesgegenwärtig handelte die Duisburger Polizei am vergangenen Wochenende. Als aus einer von Milli Görüs angemeldeten Demonstration gegen die israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen heraus Israelfahnen attackiert wurden, die aus dem Fenster eines Mietshauses hingen, entschied sich die Einsatzleitung zu schneller Abhilfe. Um eine Eskalation zu verhindern, drangen Polizisten in die Wohnung ein und entfernten kurzerhand die Nationalsymbole, die die Gemüter erhitzt hatten. Die Lage beruhigte sich sofort. Die Beamten erhielten sogar Beifall von den DemonstrationsteilnehmerInnen. Der Wohnungseientümer, der auf dem Gehweg Parolen wie „Tod Israel“ als Reaktion auf seine Fahnen dokumentierte, sah sich nicht nur in seiner Meinungsäußerung eingeschränkt, sondern hatte zudem eine aufgebrochene Wohnungstür zu beklagen. Nachdem die Amtshandlung zuvor gerechtfertigt worden war, entschuldigte sich der Duisburger Poizeipräsident schließlich für die Aktion. Eine ganz eigene Deutung fügte der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär, Hendrik Wüst, der Episode hinzu: „Am Ende kommt es noch soweit, dass ich meine Deutschlandfahne einholen muß, weil irgendjemand daran Anstoß nimmt.“ So schnell wird man als Deutschnationaler zum Opfer.

Für den Fahnen- und Wohnungsbesitzer hatte die Demonstration noch weitere Folgen: Als er zwei Stunden später nach Hause wollte, standen immer noch Jugendliche vor dem Haus, die seine Wohnung mit Wurfgeschossen eindeckten. Die Anwesende Polizei riet, man solle sich vom Fenster fernhalten. Als ein Bekannter weitere zwei Stunden später zum Rauchen auf den Balkon trat, wurde er prompt als „Scheissjude“ beschimpft. Wiederum trat die Polizei auf den Plan. Um die Situation zu deeskalieren, erteilte Sie dem Bekannten für die Wohnung einen Platzverweis.

bananenrepublikEin 62-jähriger Crailsheimer darf in seinem Garten eine verfremdete Deutschlandfahne hissen. Nachdem Kriminalpolizisten die mit einer Banane verzierte Trikolore konfisziert hatten, stellte die Staatsanwaltschaft Ellwangen die Vermittlungen wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole ein. „Das öffentliche Hissen der Flagge stellt, anders als beispielsweise provokatives Aufstellen der Bundesflagge in einem Misthaufen, keine Verunglimpfung der Flagge dar, weil durch den Aufdruck der Banane nicht die Flagge selbst empfindlich geschmäht oder besonders verächtlich gemacht wird, sondern allenfalls die Bundesrepublik Deutschland konkludent als Bananenrepublik bezeichnet wird.“ Über den Kommentar des Beschuldigten zu der Angelegenheit berichtet das Hohenloher Tagblatt. Er läßt nun den Fahnenmast von einem Weihnachtsmann erklimmen, der zum Polizist umgemodelt wurde.

Ungemach drohte Schwarzrotgold auch schon von anderer Seite.

Stillender ProtestEine neue Protestform beschert uns der nordamerikanische Umgang mit entblößten Körperpartien – das nurse-in gegen die Diskriminierung von Müttern. In zwei Fällen fanden die Mitarbeiter einer H&M-Filliale in Vancouver und die Besatzung eines Flugzeuges in Burlington den Anblick stillender Mütter so unzumutbar, dass sie diese herausschmissen. Daraufhin formierte sich Widerstand vor dem inkriminierten Modeladen und an mehreren US-amerikanischen Flughäfen. Ostentativ säugten hier dutzende Mütter ihre Kinder (mitgeführte Plakate: „Babies for Breastfeeding“, „Breasts — Not just for selling cars anymore“), um ihr Recht auf die freie Stillplatzwahl zu untermauern. Ironie der Geschichte: die restriktive Konzernpolitik zeigte sich ausgerechnet in einer Maschine der Delta-Tochter „Freedom Airlines“.

Nachtrag 12. Januar 2009: Der Mütterprotest ereilt jetzt auch facebook. Da Fotos von stillenden Müttern als obsene klassifiziert wurden, sammeln diese nun unter dem Motto „Hey, facebook, breastfeeding is not obscene!“ UnterstützerInnen für eine Petition an die Betreiber der Seite.

Der Schuhwurf auf George W. Bush bei dessen Abschiedsbesuch im Irak ist ein schönes Beispiel für die kulturelle Einbindung von Protest und die unterschiedliche Deutung solcher Gesten. Dank des Angriffs weiss jetzt jeder in der westlichen Welt, der es wissen will, dass die Konfrontation mit der Schuhsohle im arabischen Kontext die übelste Beleidigung darstellt. Ohne diese Erklärung ist der Wurf mit dem Laufwerk in unserer Wahrnehmung lediglich Slapstick. Auch der Angegriffene deutete den Zwischenfall so, dass der Schuhprotest lediglich mediale Aufmerksamkeit für die Parolen des Werfers herstellen sollte. Er fühle sich nicht beleidigt. Im Nahen Osten ist der Schuh endgültig zum Symbol des antiamerikanischen Widerstandes geworden. Der Werfer wird als Volksheld gefeiert, die Übertragung der Szene im Fernsehen führte laut taz zu spontanen Freudenfeiern. Auch in anderen Ländern regte der Schuh die Phantasie von KriegsgegnerInnen an. Wie in Monty Pythons „The Life of Brian“ werden nun auf Demonstrationen aufgespießte Schuhe mitgeführt. Ob den Komikern die Bedeutung des Schuhes geläufig (sic!) war?

Nachtrag, 20.1.2009: Der Schuhwerfer Muntaser al-Saidi, der seiner Familie zufolge nach seiner Festnahme von der Polizei misshandelt worden war, will angesichts der Tatsache, dass ihm bei einer Verurteilung im Irak bis zu 15 Jahre Haft drohen, in der Schweiz Asyl beantragen.

Nachtrag, 11.3.2009: Nun ist das Urteil gesprochen. Der Fernsehjournalist soll für drei Jahre ins Gefängnis.

Nachtrag, 16.9.2009: Während Muntaser al-Saidi nach seiner vorzeitigen Entlassung gefeiert wird, Autos und Heiratsanträge bekommt, befasst sich auch die Wissenschaft mit dem transkulturellen Phänomen des Schuhwurfs:

Ibrahim, Yasmin (2009): The Art of Shoe-Throwing: Shoes as a Symbol of Protest and Popular Imagination. In: Media, War & Conflict 2 (2): 213-226.

sms_fuer_ahmadinedschad1Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad will juristisch gegen Handynutzer vorgehen, die per SMS Witze über ihn verschicken. Wie schon auf den Philippinen und in Zimbabwe sind die Schmähmitteilungen im Iran zum Massenphänomen geworden. Vor allem junge Iraner nutzen ihr Handy, um die Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten zu umgehen. Ein iranischer Blogger, der zusammen mit anderen Netzaktivisten bei dem scheidenenden US-Präsidenten Bush über Menschenrechte plauschte, gab an, dass das Regime 60 Millionen Dollar ausgeben würde, um die lustigen SMS zu unterbinden.

Corinne Ramey: Mobile Phones in Mass Organizing: A MobileActive White Paper, mobileactive.org

via Chrissie

gsvmagazinBürgerinitiativen, die sich für den Erhalt der eigenen Umgebung einsetzen, können schon eigenartig sein. Vollends absurd werden NIMBY-(not in my backyard)-Initiativen dann, wenn sie von Lobbyorganisationen aus der Taufe gehoben werden. Die Gesellschaft zur Förderung umweltgerechter Straßen- und Verkehrsplanung (GSV) ist so eine kuriose Unterstützerin. Finanziert von Straßenbauunternehmen berät und initiiert sie Bürgerproteste zum Bau von Straßen – zur Zeit 150 bundesweit. In einem Hintergrund-Beitrag berichtet der Deutschlandfunk über die GSV und andere Formen des Guerilla-Lobbying. Dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) keine gemeinnützige Initiative ist, dürfte mittlerweile bekannt sein. Dass aber bezahlte Bürger in einer Abgeordneten-Sprechstunde erscheinen um die Positionen von Industrieverbänden in das Parlament einzubringen, hat noch den Charme des Subversiven.

Noch mehr verdecktes Lobbying zeigt LobbyControl – unter anderem eine amüsante Zusammenstellung der von der INSM bezahlten Dialoge in der ARD-Soap „Marienhof“.

Frank Loy piedMit diesen Worten begleitete eine Umweltschützerin eine Aktion während des Klimagipfels in Den Haag. Eine Mitstreiterin drückte dem Unterhändler der USA,  Frank Loy, eine Sahnetorte ins Gesicht. Die Regierung von Präsident Bill Clinton zeigte sich drei Jahre nach der Klimakonferenz von Kyoto unwillig, den Kohlendioxidausstoß der USA in einem verbindlichen Rahmen zu reduzieren. Dass so eine Aktion – noch  dazu auf dem Podium – heute, vielleicht in Poznan, gelingt, scheint wegen der erhöhten Sicherheitsmaßnahmen nicht sehr wahrscheinlich. Gründe gäbe es derweil genug. Die Klimakanzlerin hat trotz erderwärmender Worte zu Hause so ziemlich jede Gelegenheit ausgelassen, um z.B. die Auto- und Energieindustrie zum Nachdenken zu bringen.

wasserpolizeiGääähn! Nach dem elften Castortransport in das Zwischenlager Gorleben will der niedersächsische Innenminister Schünemann Blockierer mit den Kosten des Polizeieinsatzes belasten. Der Vorschlag, den Schünemann in fiskalischer Verzweifelung vorgebracht hat, interessiert in erster Linie konservative Medien. Vielleicht findet die Diskussion in anderen Medien nicht statt, weil sie nicht ganz neu ist und kaum Konsequenzen haben wird. Schon bei den Protesten gegen den Bau des AKW Brokdorf hatte die Polizei versucht, Demonstranten die Kosten für ihren Einsatz aufzubrummen. Auch bei vorangegangenen Castor-Transporten hätte die Bundespolizei gerne erfolgreiche Blockierer in die Privatinsolvenz getrieben, war damit aber an den Gerichten gescheitert. Eine Gesetzesänderung, wie Schünemann sie fordert, hat wegen der demonstrationsrechtsfreundlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgesetzes wenig Aussicht auf Erfolg. Auf Länderebene sind die Urteile weniger Eindeutig: Baden-Würtemberg zieht bei Blockaden noch immer die von Innenminister Roland Herzog eingeführte „Wegtragegebühr“ von 56 Euro pro bemühtem Polizist ein. In Hessen ist eine ähnliche Regelung vom Verwaltungsgericht zu Gunsten einer Friedensdemonstrantin gekippt worden. Die schönste Geschichte im Zusammenhang mit der Diskussion über die Einsatzkosten bastelte die Bild-Zeitung: sie gibt als „Grund“ für die Kosten von über 20 Millionen Euro gewaltätige Demonstranten an. Die mögen vielleicht Verluste bei der Bahn verursacht haben, der Großteil der Kosten geht aber auf die erfolgeiche Verzögerungstaktik der Castor-Gegner und die daraus resultierenden Überstunden von 16.000 Polizisten zurück. (Unkenntnis legt die Bild-Redaktion auch in der Bildunterschrift zu einer Szene in Grippel an den Tag: die Betonpyramiden auf der Nordroute verlegt sie kurzerhand auf die Gleise.)

Bei den frühen Transporten Ende der 1990er Jahre nahm die Diskussion schon einmal eine ganz andere Richtung: Da forderte die SPD-Bundestagsfraktion, die Kraftwerksbetreiber für die Kosten des Transportes in die Pflicht zu nehmen. Auch Schünemann wollte übrigens 2005 noch an anderer Stelle sparen: Die Polizisten sollten für ihre Bereitschaftszeit im Wendland nur 25 Prozent des Lohnes bekommen.

Olaf Griebenow, Kostenrisiko Demonstration. Die Drohung mit dem finanziellen Polizeiknüppel, Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP, 72 (2002), S. 31-35

Eckart Riehle: Gebührenrecht als polizeiliche Waffe gegen Demonstranten, Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP, 14 (1983), S. 19-28

Von einer ganz besonderen Interpretation des Versammlungsrechts erfahren wir dieser Tage aus China. Dort hat die Regierung anlässlich der Olympischen Spiele in Peking schon eigens „Protest-Zonen“ eingerichtet und dann das: In ihrer Halbzeitbilanz erklärte die chinesische Regierung über die Nachrichtenagentur Xinhua, dass dort bislang keine einzige Demonstration stattgefunden hat obwohl nur ein Antrag abgelehnt worden war. Was war geschehen? Protestwillige sollten ihre Kundgebung fünf Tage im Voraus anmelden. Binnen 48 Stunden, war ihnen versprochen worden, sollte über die Eingabe entschieden werden. Tatsächlich gingen 77 Anträge auf Protest in der vorgesehenen Zone bei den Behörden ein, die meisten zu sozialen Themen. Zwei der Anträge führten nicht zu einer Demonstration, weil sie „unvollständig“ waren. Der Löwenanteil aber, nämlich 74, wurden – so liest man bei Spiegel online – zurückgezogen, „weil sich die zuständigen Behörden der Probleme angenommen hätten“. Man möchte sich nicht vorstellen, wie diese bevorzugte Behandlung aussieht. Die Bilder von abgeführten Demonstranten zeigen folglich jene, die es versäumt haben, ihren Antrag ordnungsgemäß einzureichen. Ansonsten wären die Anliegen sicher ihren sozialistischen Gang gegangen. Um spontane Potestaktionen zu verhindern, werden die Protestzonen jedenfalls streng überwacht.

Chen Yali: Protest and Policing: Challenges for the Beijing Olympics, China Security, 4 (2) 2008, S. 59-71

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