Die Nachwuchsorganisation der christlichen Volksparteien hält die Erinnerung an das Mauerregime aufrecht und verbindet dieses Anliegen auf wunderbare Weise mit der tagespolitischen Debatte. Kostümiert als Angehörige der Nationalen Volksarmee marschierten die Jungpolitiker zum Jahrestag des Mauerbaus vor der Parteizentrale der Partei Die Linke auf (Fotos auf der JU-Seite). Gebrochen wurde dieser Auftritt durch Plakate mit der Aufschrift „Freiheit statt Sozialismus“ und „Früher war ich Mauerschütze, heute wähle ich links“, die die Grenzer den versammelten Pressevertretern präsentierten. Mit der Aktion dürften sie die Einführung eines Sozialismusparagraphen in der hesischen Landesverfassung verhindert haben. Böse Zungen würden die – nach Angaben der taz „frisch rasierten“ – Jungunionisten angesichts der Reaktivierung der Wahlkampfparole von 1976 wohl allerdings als ewiggestrig bezeichnen. In Bayern wäre die uniformierte Aktion wegen des neuen Militanzparagraphen im Versammlungsrecht wohl gar nicht erst genehmigt worden.

Bei den gegenwärtigen Außentemperaturen liegt die Idee, unbekleidet zu protestieren, vielleicht gar nicht fern. Das körperliche Wohlbefinden steht aber nur selten im Mittelpunkt, wenn sich Demonstrierende entkleiden. In den meisten Fällen geht es in erster Linie darum, (mediale) Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu erzeugen. Ganz unverblümt sagt das ein Demonstrant des mexikanischen Movimiento de los 400 Pueblos (Bewegung der 400 Völker): „Wir sind nur Bauern. Wir haben keine anderen Waffen, das einzige was wir haben um Aufmerksamkeit zu bekommen ist unser Körper.“ Ungewohnt ist das seit John Lennon und Yoko Onos Bed-In nicht mehr, gibt aber schöne Bilder. Übrigens, wer auf die Titelseite will, tut gut daran, einen Idealkörper zu haben, sonst ist nackter Protest für Chefredakteure wesentlich uninteressanter. Das weiß auch die Tierrechtsorganisation Peta, die für ihre Dauerkampagne lieber Nackt als Pelz diverse prominente (und weibliche) Schönheiten gewinnen konnte. Aber auch beim einfachen Volk trägt die Hoffnung auf Fernsehbilder immer wieder blanke Früchte (gerne auch mit dem inszenatorischen Höhepunkt, dass etwas baden geht oder das letzte Hemd präsentiert wird) – bei Studenten, Hartz IV-Betroffenen, Rentnern, u.v.a. Die NZZ meint deshalb zum Nackt-Protest: „Wer Zuschauer will und braucht, der zieht sich heute aus. Doch das hat nichts mit Mut, Protest oder Kreativität zu tun, sondern mit Faulheit.“ Ganz so einfach ist es nicht. Immerhin ist solcher Protest nicht immer fad und billig. Es geht auch darum, offensiv mit der Verletzlichkeit des Protestkörpers umzugehen. So ist der Nackte Block/die Nackte Hilfe, die bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm die Polizeiketten in Bedrängnis brachte, aus einer gewaltförmigen Konfrontation hervorgegangen. Mit der Parole „Wer uns anfaßt, ist pervers“ bewegten sie sich auf den Zaun zu, der Staatsoberhäupter vor Protestierenden schützte. Nur die Bild-Zeitung hatte mal wieder nichts begriffen. Am 6. Juni 2007 frohlockte sie „Lieber Busen-Block als schwarzer Block„. In der radikalen Linken hat der politisch entblößte Körper Tradition: da waren doch die Maskierten vor dem Tunix-Kongress 1978, die Gelöbnis-GegnerInnen 1999, die Globalisierung in Genua 2001 und die Besucher einer Berliner Nazi-Kneipe 2006. Die Nacktheit kann aber auch die Solidarität mit nicht-menschlichen Tieren zum Ausdruck bringen. Tierrechtler setzen sich in maßstabsgetreue Hühnerkäfige, hüllen sich mit Kunstblut in Zellophan ein, oder spießen sich mit Stierkampfutensilien auf. Auch die Umweltbewegung setzt auf Nacktheit, z.B. beim World Naked Bike Ride den Radler einmal im Jahr begehen, um sich gegen den automobilen Verkehr durchzusetzen. Andere Nackerte sind ausdauernder. Wenn man dem US-Fernsehsender Univision glauben darf, protestieren die 400 Völker seit 2002 jeden Tag in der mexikanischen Hauptstadt.

Polylux-Beitrag zum Thema mit ein paar absurden Beispielen

Barbara Sutton: Naked Protest: Memories of Bodies and Resistance at the World Social Forum, Journal of International Women‘s Studies,  8/3 (2007), S. 139-148

Hitler-Foto: Jerry Bowley, cc

Franz-Josef Wagner (64), Deutschlands wichtigster Meinungsmacher, geht zu weit. In seiner Bild-Kolumne „Post von Wagner“ forderte er elf Millionen Leser zum Ekel-Protest gegen das Berliner Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud. Weil er Angst vor dem dort ausgestellten Wachs-Hitler hat, sollen Bild-Leser die Eröffnungsfeier behindern. Wagner: „Kommt alle zur Eröffnung, um zu kotzen.“ Der Mann der schon Chaoten hofierte, die den G8-Gipfel von Heiligendamm störten, hat jeden Anstand verloren. Ein Angriff auf Eröffnungsgäste mit Magensäure (0,5 % Salzsäure) wäre gemeingefährlich. Protestkuriosa meint: Alterswahnsinn statt Altersweisheit.

Nachtrag (5. Juli 2008): Die Aufwiegelung des Porschefahrers ist offensichtlich auf fruchtbaren Boden gefallen: Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung hat ein 41-jähriger die Leibgarde des Wachs-Hitlers beiseite gestoßen und die Führer-Figur enthauptet. Die Polizei hat ihn noch im Museum festgenommen. Nach Angaben der Berliner Morgenpost ist der Hitler-Attentäter ein ehemaliger Polizist, der seinen Dienst quittierte, „weil er nach einer 1.-Mai-Demonstration festgestellt habe, dass er auf die ‚andere Seite gehöre'“. Tagesschau online nimmt die Attacke zum Anlass, um die Wachspromiausstellungshäuser in London und Hamburg nach Anti-Hitler-Protest zu befragen. Das erstaunliche Ergebnis: während der Londoner Hitler seit 1933 immer wieder Anfeindungen ausgesetzt war, ist es im Hamburger Panoptikum nie zu Übergriffen auf den ambitionierten Kunstmaler oder die anderen dort ausgestellten Nazi-Größen gekommen.

Hätte eigentlich schon viel früher kommen müssen: Ein Beitrag zum geplanten Versammlungsgesetz in Bayern. Der Gesetzentwurf ist ein fulminanter Abschied vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Ein kleiner Ausschnitt für alle, die in Zukunft auf bayerisch freistaatlichem Hoheitsgebiet eine Demonstration anmelden wollen: Versammlungsleiter müssen darauf hinwirken, dass es auf einer Demonstration nicht zu Gewalt kommt. Falls das passiert, müssen sie die Demonstration auflösen. Tut das der Versammlungsleiter zu spät droht eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr. Zum Anmelder muß man es aber erstmal bringen. Die zuständige Behörde kann einen nämlich als ungeeignet ablehnen. Darüber hinaus sollen Demonstrationen im ganzen abfotografiert werden, ein „Militanzverbot“ überläßt dem Einsatzleiter der Polizei die Entscheidung darüber, ob von einer Versammlung eine „einschüchternde Wirkung“ ausgeht und er die Demonstration lieber auflösen möchte, und viele andere Schmankerln mehr. Gerechtfertigt wird der feuchte innenministeriale Traum mit den Schwierigkeiten der Behörden im Umgang mit extremistischen Versammlungen. Gegen diesen absurden Gesetzentwurf regt sich verständlicherweise einiger Widerspruch. Unter anderem auf einer Demonstration mit 2.000 TeilnehmerInnen in der Landeshauptstadt. Zuvor hatten sich Münchener Anwälte des noch geltenden Demonstrationsrechts bedient und sich in ihren Roben zu einem schwarzen Block formiert. Die einschüchternde Wirkung dieses anwaltlichen Blocks mag der Betrachter dem oben eingefügten Foto entnehmen.

Zur Europameisterschaft der Fussball-Herren und dem unvermeidlichen Farbentaumel sei noch mal an die Störungen des deutschseligen Sommermärchens anno 2006 erinnert. Die skeptischen Stimmen angesichts der omnipräsenten Beschwörung der nationalen Symbole waren stark vereinzelt. Auch „Linke“ konnte man sagen hören, schwarz-rot-geile MigrantInnen würden doch dem völkischen Konzept der Nation zuwiderlaufen. Aber ein paar schöne Aktionen, die sich die Nationalfahnen als Opfer auserkoren, gab es dann doch. Im Hamburger Schanzenviertel z.B., dem nunmehrigen Pornobrillenzentrum der Hansestadt, mußte eine an einem Baugerüst befestigte überdimensionierte Flagge dran glauben. Nicht-Nationalisten erleichterten das Staatssymbol in einer Nacht-und-Nebel-Aktion um die unterste Farbe, so dass für kurze Zeit die Farben schwarz und rot als Reminiszenz an vergangene Tage das Viertel dominierten. Eine noch destruktivere Fleißarbeit leisteten Deutschland-Hasser aus Nürnberg. Sie sammelten des nächtens eine beachtliche Menge der im Stadtbild reichlich zur Schau gestellten schwarzrotgoldenen Textilien (nach eigenen Angaben exakt 1021) um sie allesamt dem Feuer zu übereignen. Ähnliches hört man in diesem etwas weniger euphorischen Fußballjahr eher seltener.

Nachtrag (25.6.): Spätestens mit dem Erreichen des Halbfinales durch die dt. Elf hat der Fahnen-Aktivismus wieder Fahrt aufgenommen. In mehreren Städten wird wieder zum Einsammeln der Nationalfarben aufgerufen. Zum Geburtstag des Hausprojektes New Yorck 59 und der linksradikalen Zeitschrift Interim sollen Fahnenjäger Punkte sammeln. Ähnliche Aufrufe gibt es in Wuppertal, Heidelberg und Dresden. Lesenswert sind die Ergänzungen auf den entsprechenden Indymediaseiten. Da gibt es einen Hinweis auf § 90 StGB ( Die „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ kann bis zu drei Jahre Knast bringen), den Verweis auf einen erzürnten Artikel in der Nazi-Postille Junge Freiheit und die Frage, ob man Fahnen auch per Post einsenden kann.

Nachtrag (7.7.2008): Auf Indymedia ist die Verleihung des Rijkard-Cups dokumentiert, der anläßlich der EM erstmals in der Rhein-Neckar-Region ausgelobt wurde. Dabei kamen nach Angaben der VeranstalterInnen über 2.000 deutsch-nationale Fahnen und Fähnchen zusammen. Kreativer gab man sich in Greifswald, wo die deutsche Trikolore in einem Fotowettbewerb der örtlichen Antifa neuen Einsatzgebieten zugeführt wurde.

Zur Protestform des Flaggen Verbrennens in anderen Kulturkreisen gibt es auch einen schönen Clip von Extra3.

Michael Welch: Flag Burning: Moral Panic and the Criminalization of Protest, Piscataway: Aldine Transaction, 2000.

Wenn man Deutschland zum Kotzen findet, geht das auch subtiler.

In vielen Fällen haben ja die zu Beginn des Jahrtausends als neue Protestform gefeierten Flash-Mobs gar keine politische Ausrichtung. In letzter Zeit gibt es aber immer wieder schöne Aktionen, die nicht nur politisch gemeint sind, sondern auch so wahrgenommen werden. So etwa gestern abend auf dem Osnabrücker Katholikentag (Motto: „Du führst uns hinaus ins Weite„). Dort hatten sich Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Ausrichtungen zum Abendgebet verabredet. Auf das Schwenken der Regenbogen-Fahne hin fielen sie sich in die Arme und küssten sich mitten unter den verblüfften – und wenn man dem Indymedia-Bericht glauben kann – größtenteils angeekelten Gläubigen. Ein Sprecher des Katholikentages sah die Veranstaltung „massiv gestört“ und wünschte sich derlei emotionale Praxis auf den privaten Rahmen beschränkt zu sehen. Kiss-Ins gab es übrigens gerade erst am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homophobie.

Genug der Schelte für den blau-gelben Discounter! Nach der Stasi-Affäre bei Lidl und den Anfeindungen von GewerkschafterInnen und anderen Gutmenschen setzen sich die MitarbeiterInnen der Supermarkt-Kette nun für ihren Arbeitgeber ein – und gehen auf die Straße. Der Bericht auf Indymedia zu der Demonstration in Frankfurt am Main ist seit langem einer der ungewöhnlichsten auf der Seite. Parolen wie „Ich arbeite gerne bei Lidl – auch ohne Betriebsrat“ sind wohl doch keine Kommunikationsguerilla-Aktion. Zumindest läßt die gleichnamige Internetseite keinerlei Brechung dieser kuriosen Position erkennen. Näher kommt man des Pudels Kern, wenn man die Sonderberichterstattung von BildOnline zu dem Thema sieht. Angesichts der sonst so unterirdischen Berichterstattung über Demonstrationen erstaunt die positive Bezugnahme auf die Proteste für einen der größten Werbepartner des Boulevardblattes. Fällt doch das Anliegen der Demonstranten auf wundersame Weise zusammen mit der Image-Offensive der Lidl-Stiftung, die ebenfalls (als Anzeige) auf der Bild-Seite zu besichtigen ist.

Schaut Euch den Aktionstag von Belgischen Überwachungskritikern am 8. April 2008 an. Nach der üblichen Skandalisierung von Jugendgewalt sollte die Zahl der Überwachungskameras im Brüsseler öffentlichen Raum massiv erhöht werden. In der Tradition der Surveillance Camera Players haben sich die örtlichen Gegner des Big Brother ganz einfach die Objekte der Kritik angeeignet. Am Stichtag inszenierten sie vor ihren Lieblings-Überwachungskameras das eigene Programm: Tortenwürfe, Tänze und lyrische Performances. Die Teilnahme des Tortenwurfveterans Noel Godin bewegte auch die taz zu einem Artikel.

Worch mit Bimmelmütze Jedes Wochenende versammeln sich in vielen deutschen Städten Nazis zu Demonstrationen. Fast ausnahmslos weht ihnen dabei der Wind in Gestalt von Antifas und bürgerlichen Nazigegnern entgegen. 2004 (Recklinghausen), 2005 (Duisburg) und 2006 (Minden) mobilisierten die „freien Kräfte“ auch Heiligabend. Offenbar ohne zu befürchten, sich der Lächerlichkeit preis zu geben, posierte Weihnachten 2006 Christian Worch, fleißiger Daueranmelder auf Seiten der Rechten, mit Zipfelmütze vor dem örtlichen Sex-Kino. Die erhoffte Mobilisierende Wirkung hatte die Maskerade allerdings nicht. Sechzig nationalen Weihnachtsdemonstrierern standen 500 Mindener gegenüber.

Deutsche unterstützen LokführerDie Meinungen über die Streiks der Lokführer dürften ja auseinandergehen, aber dass zwei aufeinander folgende Umfragen zur Unterstützung der Streikenden völlig entgegengesetzte Ergebnisse zutage fördern, mutet schon seltsam an. Wie Jan Eggers im Blog von HR-Info rekonstruiert, zeigten in einer Umfrage von Infratest-Dimap 64 Prozent der Befragten Verständnis für den Bahnerprotest. Am nächsten Tag lautete die Schlagzeile: „Bundesbürger haben kein Verständnis für neue Streiks“. Nach einer Umfrage des Forsa-Institutes legten 66 Prozent der Befragten den GdL-KollegInnen nah, sich mit dem Angebot der Bahn zufrieden zu geben. Alles eine Frage der Formulierung: Während in der ersten Umfrage lediglich gefragt wurde: „Haben Sie Verständnis für den Streik der Lokführer?“ lautete die Forsa-Frage ganz im Sinne des Bahn-Personalvorstandes: „Die (GDL) hat von der Bahn ein fünftes Angebot bekommen. Danach soll das Fahrpersonal einen eigenen Tarifvertrag, 4,5 Prozent mehr Lohn und eine Einmalzahlung von 2000 Euro erhalten. Sollte sich die GDL mit diesem Ergebnis zufrieden geben, oder sollte sie weitere Forderungen stellen?“ Die erste Umfrage wurde von der ARD und anderen Medien in Auftrag gegeben, die Zweite von Berlinpolis, einem Beratungsbüro, das sich zuvor schon für die Privatisierung der Bahn stark gemacht hatte. Honi soit qui mal y pense!

Dank an Christoph für den Hinweis.

« Vorherige SeiteNächste Seite »